Wie erzählt man eine Berührung?
Gewundene Linien, sich anschmiegende Körper, sich scheinbar dem Zufall hingebende Biegungen und Kurven. Lisa Tiemanns Objekte aus Keramik und Papiermaché aus der Werkgruppe „COUPLES“ vermögen ein Eigenleben zu besitzen. Sichtbar wird das zum einen durch die bewusste Verbindung zweier nur auf den ersten Blick vermuteten ähnlichen Werkstoffe, zum anderen durch das dem Material inhärente natürliche Verhalten, die Marmorierung und Krakelé der Glasur — und wiederum in ihrer Einheit über die sensiblen, ja fast vorsichtiger Berührungen zum Boden, auf dem sie liegen.
Während sich die Minimalisten der 60er-Jahre den Vorwurf eines Antropomorphismus gefallen lassen mussten, findet sich dieser bei Tiemann ganz bewusst wieder. Scheinbar einer nicht unumgänglichen Assoziation zum Menschlichen, die sich bereits im Titel der Arbeiten niederschlägt, vermuten wir ein ineinander geschlungenes Paar, das sich aneinander schmiegt, kämpft, gar abstößt und dennoch stets verbunden bleibt. Es ist die im Still gefrorene Bewegung der Objekte, in der wir uns wiederfinden.
Dieser Prozess, dessen Resultat wir als Rezipient*innen nun vor uns sehen, schwingt bei Tiemanns Arbeiten fortwährend mit. Wir betrachten sozusagen in der Retrospektive das Aushandeln der Künstlerin in ihrem Schaffensprozess, aber auch das Wirken des Materials selbst — beide Komponenten erzählen uns hier ihre Geschichte, die ebenso gewollt, wie auch dem Zufall selbst überlassen wurde.
Ausgangspunkt sind Zeichnungen, Striche auf Papier, die dann zum räumlichen Gefüge werden, Gestalt und Gehalt annehmen und uns schließlich ihre eigene Geschichte erzählen wollen, hier: an einem sich durch den Raum ziehenden Kontinuitätsfaden, als hätte ihr Narrativ eine zeitliche Abfolge oder temporale Parallelität. Doch viel mehr sind es Aushandlungen, Beobachtungen von Bewegung und Verschiebung; von Begegnungen, die einerseits geplant und doch in ihrem Ausgang sich selbst überlassen wurden.
Tiemann schenkt daher dem Material ein Eigenleben. Wenngleich sie den Anfang der Gestaltung vorgibt, übergibt sie dem Ton und dem Papiermaché letztendlich eine Handlungsmacht zurück, lässt Veränderungen zu und eröffnet ein Gespräch zwischen Materie und Stoff, zwischen Objekt und sich selbst als Künstlerin.
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How do you tell a touch?
Winding lines, nestling bodies, bends and curves seemingly surrendering to chance. Lisa Tiemann’s objects made of ceramics and papier-mâché from the work group „COUPLES“ are capable of possessing a life of their own. This becomes visible, on the one hand, through the deliberate combination of two similar materials that are only suspected at first glance, and, on the other hand, through the inherent natural behaviour of the material, the marbling and craquelure of the glaze and, again, in their unity through the sensitive, almost cautious touches to the floor on which they lie.
Whereas the minimalists of the 1960s had to put up with the reproach of antropomorphism, Tiemann deliberately reintroduces it. Seemingly a not unavoidable association with the human, which is already found in the title of the works, we suspect an intertwined couple that nestles, fights, even repels each other and yet always remains connected. It is the movement of the objects, frozen in stillness, in which we find ourselves.
The process, the result of which we as recipients now see in front of us, constantly resonates in Tiemann’s works. In a retrospective, so to speak, we observe the artist’s negotiation in her creative process, but also the effect of the material itself – both components tell us their story here, which was both intentional and left to chance itself.
The starting point are drawings, strokes on paper, which then become a spatial structure, take shape and content and finally want to tell us their own story, here: on a thread of continuity running through the space, as if their narrative had a temporal sequence or parallelism. But much more they are negotiations, observations of movement and displacement; of encounters that were planned on the one hand and yet left to their own devices in their outcome.
Tiemann therefore gives the material a life of its own. Although she prescribes the beginning of the design, she ultimately hands back a power of action to the clay and papier-mâché, allows for changes and opens up a conversation between matter and fabric, between object and herself as an artist.