KONRAD HANKE

 

 

 

 

 

 

 

 

 

S H I N I N G

 

 

 

 

Kaum ein Zusammenhang hat die Kultur- und Geisteswissenschaften der letzten dreißig Jahre mehr umgetrieben als die vermeintliche Auflösung der Grenzen von Schein und Sein, von Tiefe und Oberfläche, respektive Tiefe und Oberflächlichkeit. Was erzählt uns die Oberfläche vom Prozess des Gemachtseins, von der Hand der Künstler*innen? Wie verhält sich die Haut eines Gegenstandes zu digitalen Bildwelten in 3D? Ist die Oberfläche nicht das kleinste gemeinsame Vielfache eines jeden Objekts? Das sind Fragen, die auf besondere Weise mit Materialität und der Behandlung ihrer Oberfläche arbeiten und somit an Konrad Hankes künstlerische Praxis anknüpfen. In seinen plastischen Arbeiten setzt er sich mit der Oberfläche als ein ästhetisches Phänomen auseinander. Dabei bezieht sich der Begriff der Oberfläche sehr konkret auf die Materialität der verwendeten Objekte oder metaphorisch auf Verfahren der Anordnung und der Präsentation des Materials. Oberflächen bestimmen unser Umfeld und unser Verhalten in der Welt der Dinge. Sie aktivieren unser visuelles Gedächtnis und unseren taktilen Sinn. Sie sind es, die unser Vorstellungsvermögen und unseren Erfahrungsspeicher ansprechen. Im Zentrum steht die Manifestation der Oberfläche eines Kunstwerks als eine seiner wesentlichen künstlerischen Qualitäten. Die Oberflächliche ist das unmittelbar Erfassbare, das, was sich schnell erschließt – so scheint es.
Die zweiteilige Arbeit Doublebind ist eine Weiterentwicklung vorangegangener Abgüsse geläufiger Fahrzeugteile. Mit einer hauchdünnen Silikonschicht wird das archetypische Autoteil abgeformt. Die fragile Silikonhaut wird anschließend in eine Art Sandkasten gelegt. Der Sand ist vom Künstler händisch vorbehandelt worden; durch einen regulierten Schlag, Stoß oder Druck sind leichte Vertiefungen entstanden, die den Silikonabguss neu definieren. Dieser künstlerische Eingriff innerhalb des plastischen Kopiervorgangs verzerrt das Objet trouvé und löst es endgültig von seiner Funktionalität. Das Negativ aus Silikon wird mittels Epoxidharz in ein verfremdetes Positiv rückübersetzt. Die Wirkung der Oberflächenbearbeitung ist erstaunlich. Anstelle einer hochglänzenden, verdichteten Lackoberfläche verzichtet Konrad Hanke mittlerweile auf eine aufwendige Versiegelung. Wie ein geschliffener und polierter Jadeit changiert die Kunststoffoberfläche zwischen Transparenz und Opazität und emanzipiert sich von ihrem formgebenden Element. Weich und präzise erscheint die vermeintlich verbeulte Oberfläche und vermittelt unserem tastenden Blick Leichtigkeit. Das Ensemble wirkt auf eine surreale Art fragil, zerbrechlich und wertvoll. Es verunsichert und fasziniert zugleich. Die Oberfläche ist nicht nur ein Abbild des Materials; ein visueller Reiz, sondern auch eine taktile Versuchung. Die illusionäre Verwendung von mit Glaspulver angereichertem Kunstharz und ein reduziertes Formenvokabular bilden die zentralen Merkmale von Doublebind und irritieren unsere Wahrnehmung. Mit der Wahl eines industriell gefertigten Funktionsgegenstandes als Motiv und dem sich sukzessiv kontrastierenden Material signalisiert der Künstler zwar die Annäherung an alltägliche Formen, spielt aber mit dem Objektcharakter und macht die Oberfläche zum wesentlichen Bezugspunkt. Konrad Hanke erweitert unsere ästhetische Erfahrung, die so stark durch Produkte der Konsumkultur beeinflusst wird – und zwar solche seriell produzierten Dinge und insbesondere Oberflächen, die keinen Raum für Spekulationen lassen. Seine Arbeitsweise folgt den Grundsätzen minimalistischer Klarheit, die er aber zugleich um einen den Sehsinn irritierenden Illusionismus erweitert. Er ermöglicht uns, unsere bisherigen im Umgang mit den alltäglichen Dingen gesammelten Erfahrungen zu überprüfen und zu ergänzen, ohne eine gänzlich neue Wahrheit zu definieren.

Lucie Klysch